Anhörung zum Thema
"Hartz IV - Auswirkungen auf Familien"

Gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung führte der Bildungsverein Elbe-Saale am
25. August 2005 im Stadthaus eine Anhörung zu diesem Thema durch.
Angefragt waren sowohl Betroffene, MitarbeiterInnen von Beratungsstellen und PolitikerInnen zu folgenden Fragen:

  • Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrer kommunalen Arbeitsvermittlung in Bezug auf Betreuung und Vermittlung von Arbeit gemacht?
  • Welche Auswirkungen hat die Anrechnung von Partnereinkommen und Kindergeld auf Ihre persönliche Lebensgestaltung?
  • Wie wirkt sich der Bezug von ALG II auf die Entwicklung Ihrer Kinder aus?
Als Schwerpunkt bei den Berichten der Betroffenen stellte sich dabei die Unzufriedenheit mit der Arbeit der ARGE heraus: genannt wurden falsch ausgestellte Bescheide, mangelnde Erreichbarkeit von Mitarbeitern, unwürdige Bedingungen im Wartebereich der Arge Halle-Neustadt (stundenlanges Warten unter freiem Himmel bzw. auf dunklen Gängen ohne Sitzgelegenheiten), fehlerhafte Auskünfte (z.B. Aufforderung zum Umzug verbunden mit dem Hinweis, dass - entgegen der bestehenden gesetzlichen Grundlage- die Umzugskosten selbst zu tragen seien) um nur einiges zu nennen. Hier konnten durch anwesende Politikerinnen der Linkspartei.PDS bzw. Vertreterinnen von Beratungsstellen bereits erste Hilfen für die Betroffenen gegeben werden, weitere Gesprächstermine wurden vereinbart.
Gleichzeitig zeigte sich, dass die momentan bestehenden Beratungsstellen nicht ausreichen - zumal diese meist im Ehrenamt von Betroffenen betrieben werden. Deshalb schlug die Vertreterin einer Selbsthilfegruppe aus Thüringen vor, dass sich gerade die Beratungsstellen mehr untereinander vernetzen müssen und selbständig einen Erfahrungsaustausch organisieren sollten.
Diese Idee wurde auch von den drei anwesenden Vertreterinnen von pro familia unterstützt. Durch die veränderten Modalitäten (Arge statt Sozialamt als zuständige Behörde) haben die Mitarbeiterinnen von pro familia keine feste AnsprechpartnerIn für konkrete Einzelfälle mehr. Dadurch müssen sich die Beraterinnen vieles mühsam selbst erarbeiten, was früher durch regelmäßige Kontakte mit einer Ansprechpartnerin beim Sozialamt "auf kurzem Wege" geklärt werden konnte. Auch Familien ("Bedarfsgemeinschaften") mit behinderten Kindern oder Angehörigen befinden sich in einer besonderen Situation, für die es häufig schwierig ist, Ansprechpartner zu finden.
Einig waren sich alle Anwesenden, dass die Forderung "Hartz IV muss weg" keine rückwärts gerichtete Losung sein darf, d.h. dass Ziel nicht in der Wiedereinführung der alten Sozialhilfe bestehen kann. Vielmehr geht es sowohl um die Beseitigung demütigender und entwürdigender Formen bei der Antragstellung und Bearbeitung, als auch um eine Höhe der finanziellen Zuwendungen, die den Lebensrealitäten in Deutschland entspricht. Hier wurde durch Anwesende konkret vorgerechnet, dass z.B. im derzeitigen Satz die gestiegenen Kosten für medizinische Behandlungen nicht einberechnet sind (u.a. Medikamente für Kinder mit bestimmten Allergien, die laut Gesundheitsstrukturgesetz nun nicht mehr verschreibungspflichtig sind und daher nicht mehr von den Kassen übernommen werden).
Gerade Kinder sind häufig von Leistungsausgrenzungen betroffen: So ist "Bedarfsgmeinschaften" nicht möglich ist, evt. notwendige Nachhilfestunden für ihre Kinder zu finanzieren; schon die Bereitstellung des Schulmaterials zu Beginn eines jeden Ausbildungsjahres bereitet große Schwierigkeiten. D.h. diese Kinder sind bereits bei den für ihre gleichberechtigte Ausbildung notwendigen Dingen benachteiligt, gar nicht zu reden von der Unmöglichkeit ihnen das Ferienticket der Deutschen Bahn zu kaufen, andere Kinder zu einer kleinen Geburtstagsfeier einzuladen u.a.m. Gerade die Kinder sind somit von bestimmten üblichen gemeinschaftlichen Aktivitäten ausgegrenzt.
Es wurde auch festgestellt, dass einer der zentralen Werte unserer Gesellschaft (und hier stimmen alle Parteien zumindest in ihren Wahlprogrammen überein) - die Familie - eigentlich durch die Bestimmungen von Hartz IV zur ökonomischen Größe degradiert wird bzw. der Auflösung und dem Verfall preisgegeben wird (höhere Beihilfen bei Trennung der Partner). Diese Politik hat auch Auswirkungen auf Menschen, die derzeit noch nicht unter diese Regelungen fallen - genannt wurden sowohl Ängste und Befürchtungen, den eigenen weiteren Lebensweg betreffend, als auch konkrete Arbeitsplatzverluste durch billigere Leiharbeiter und 1-Euro-Jober.
Die relativ geringe Teilnahme von Betroffenen an der Veranstaltung war einerseits bedauerlich, andererseits ist sie jedoch auch Ausdruck dessen, dass viele "für sich kaum noch einen Ausweg sehen und bereits aufgegeben haben". Auch die Notwendigkeit einer zu bezahlenden Straßenbahnfahrt ins Zentrum von Halle stelle für einige bereits ein nicht zu lösendes Problem dar. Insofern wurde von den Anwesenden vorgeschlagen, nach den Wahlen ein Vernetzungstreffen in Halle-Neustadt in unmittelbarer Nähe der Arge zu organisieren und Betroffene direkt in der Warteschlange vor der Arge anzusprechen. Ziel dieses Treffens soll es neben dem Erfahrungsaustausch auch sein, einen Beitrat zu gründen, der sich gemeinsam mit den MitarbeiterInnen der Arge für die Verbesserung der konkreten Bedingungen vor Ort engagiert.

Viola Schubert-Lehnhardt
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